LITFASS
GOES
URBAN ART

Projekt

Neuausschreibung der Außenwerbung für Berliner Litfaßsäulen

Angefangen hat es mit dem Jahr 2019.

In kürzester Zeit waren alle 2500 Berliner Litfaßsäulen nackt oder einfarbig überklebt. Keine Werbung! Adbusting in radikalster Form. Es war die totale Befreiung der Säule vom Gewicht der Werbung. Doch die eigentliche Absicht war eine Andere: Bei der Neuausschreibung der Außenwerbung durch den Senat wurde veranlasst den Großteil der 2500 Litfaßsäulen durch Neuere zu ersetzen und den Rest abzureißen. In der Zwischenzeit durften die Säulen nicht mit Werbung plakatiert werden. Entblößt, standen sie bild- und textentleert herum und warteten auf ihre Demontierung.

 

Aktion LITFASS GOES URBAN ART

Am 5. April 2019 begann ich mit meiner Aktion LITFASS GOES URBAN ART. Ich suchte mir 10 Litfaßsäulen auf der Boxhagener Straße und Umgebung. Jede dieser Säulen wurde von einem Künstler bespielt. So entstand innerhalb eines Tages ein Parcours aus Kunstsäulen mit individueller Gestaltung. Doch dabei sollte es nicht bleiben! Obwohl nach und nach die alten Säulen durch Neuere ersetzt wurden, blieben einige Wenige weiterhin unangetastet. Darunter die älteste Berliner Litfaßsäule auf dem Hackeschen Markt. Diese und 23 weitere Litfaßsäulen konnten noch rechtzeitig, dank dem Landesdenkmalamt Berlin, vom Kahlschlag bewahrt werden.

 

Projekt LITFASS GOES URBAN ART

Aus der Aktion wurde ein Projekt. Und so verlagerte ich die Idee von LITFASS GOES URBAN ART auf den Hackeschen Markt und gestaltete monatlich mit unterschiedlichen Künstlern das Säulendenkmal. Von Siebdruck über Malerei, Stencil Art, Paste-Ups, Graffiti, Kalligrafie, Fotografie bis Collagen. Die Säule erlebte bis Mai 2021 ihre originellsten Verwandlungen. Hinzu kamen noch die denkmalgeschützten Litfaßsäulen auf dem Kollwitzplatz im Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Allerdings war es nur eine Frage der Zeit, bis auch diese wieder mit Werbung plakatiert werden würden.

Ihre Individualität in Umfang und Größe und der Umstand, dass das Denkmalamt auch eine Instandhaltung und Pflege für die denkmalgeschützten Litfaßsaäulen einforderte, machte sie für eine Werbeplakatierung durch die Außenwerbefirma zunächst nicht gerade lukrativ. Hier sah ich eine Möglichkeit, die 24 denkmalgeschützten Litfaßsäulen aus der kommerziellen Werbebespielung herauszulösen und eventuell der Kunst- und Kulturszene zu übergeben.

 

Berliner Kulturpolitik

Ich erstellte eine Petition „Kunst statt Kommerz! Auf denkmalgeschützte Litfaßsäulen gehört keine Werbung“ und schrieb parallel, mit Hilfe vieler engagierter Kulturschaffenden, einen Offenen Brief, welcher direkt an den ehemaligen Kultursenator Klaus Lederer gerichtet war. Und siehe da! Eine Unterstützung wurde mir von Seiten der Senatsverwaltung für Kultur und Europa zugesichert. Das Antwortschreiben beinhaltet aber auch, dass für die Vermietung von Litfaßsäulen die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz zuständig ist. Also schrieb ich einen weiteren Brief mit Empfehlungsschreiben und Offenen Brief an den Senat UVK. Dieses Mal war die Antwort ernüchternd, beinahe erschreckend einfallslos. Die denkmalgeschützten Litfaßsäulen seien Eigentum der neuen Außenwerbefirma und wo sei überhaupt das Problem, „bleibt das Denkmal nicht nur optisch, sondern auch in seiner anfänglichen Funktion erhalten.“ Das war’s also?! Damit ist alles gesagt!? Es geht doch um viel mehr als nur um eine artgerechte Nutzung denkmalgeschützter Litfaßsäulen?!

Allein in Berlin gibt es nach dem Abriss und der Neuaufstellung aktuell 1500 Plakatsäulen für kommerzielle Werbung; hinzu kommen Großflächen, Werbetafeln, Outdoor-Frames und Telekomkästen. Selbst auf der TRAM wird Werbung gezeigt. Zweifellos gibt es im Berliner Stadtraum mehr als genug kommerzielle Werbeflächen. Auf der Website von STRÖER heißt es: „Außenwerbung ist die einzige Werbung, die unvermeidbar ist. Außenwerbung erzeugt Markenbilder im Kopf der Konsumenten, die bei der Kaufentscheidung unbewusst abgerufen werden.“ – Braucht es da noch mehr Slogans?!

 

Forderung

Seit Mai 2021 werden nun auch denkmalgeschützte Litfaßsäulen mit kommerzieller Werbung plakatiert. Schluss damit! LITFASS GOES URBAN ART setzt sich für die Freiheit aller 24 denkmalgeschützter Litfaßsäulen in Berlin ein: Sie sollen nicht länger für kommerzielle Werbung verpachtet werden. Bei den Litfaßsäulen handelt es sich nicht nur um ein historisches Kulturgut – das allein sollte Grund genug sein, sie vor Werbenutzung zu schützen – sondern auch um ein besonderes Stück öffentlichen visuellen Raums. Daher wird nicht nur die Auflösung des Pachtvertrags und ein Werbeverbot auf denkmalgeschützten Litfaßsäulen gefordert, sondern auch deren Übergabe an ein Bündnis aus Berliner Kulturschaffenden und lokalen Kulturinstitutionen, das die demokratische und künstlerische Bespielung der Säulen kuratiert.

 

Eigene Litfaßsäule

Und wie der Zufall es will: nach dem vorübergehenden Ende mit der kreativen Gestaltung von denkmalgeschützten Litfaßsäulen, entdeckte ich im Sommer 2021 in einem kleinen Park in Kreuzberg eine „leerstehende“ Litfaßsäule. Der Park wurde aufwändig saniert. Großflächige Baumaßnahmen fanden statt. Ich rief beim zuständigen Bezirksamt an und fragte mich durch, bis mir ein Verantwortlicher sagen konnte, dass die Litfaßsäule nicht mehr gebraucht wird.„Frei heraus: Kann ich sie dann haben?“ – „Wenn Sie sich um die Demontierung und um den Abtransport kümmern?!“ So kam ich zu meiner eigenen Litfaßsäule. Die Demonotierung und der Transport waren alles andere als einfach, aber das ist eine andere Geschichte.

 

Bahnhofsvorplatz Gesundbrunnen

Doch wie und vor allem wo stellt man eine Litfaßsäule wieder auf? Mehrere Monate hatte ich die Säule auf einem Privatgrundstück beim wunderbaren und hilfsbereiten Künstler- Kollektiv STATTLAB „zwischengeparkt“. Und während sich die Suche immer hoffnungsloser gestaltete, erhielt ich schließlich eine erlösende Email von der Künstlerin Marina Naprushkina. Im Rahmen ihres Projektes „institutions extended“, wollte sie meine Projektidee fördern und die Litfaßsäule in den öffentlichen Raum zurückbringen. Dank ihrer Hilfe, konnte ich die Litfaßsäule auf dem Bahnhofsvorplatz Gesundbrunnen aufstellen und seit März 2022 mit über 20 Künstlern kreativ bespielen.

 

Tag des Offenen Denkmals

Im September 2022 nahm ich auch erstmals an der Veranstaltung TAG DES OFFENEN DENKMALS teil. Hierfür miete ich jedes Jahr für eine Woche zwei denkmalgeschützte Litfaßsäulen auf dem Kollwitzplatz und lasse sie von Künstlern gestalten. Denn weiterhin möchte ich mich mit meinem Projekt LITFASS GOES URBAN ART für die Freistellung der denkmalgeschützten Litfaßsäulen aus der kommerziellen Werbeverpachtung einsetzen und sie zu einem Ort der Kunst im öffentlichen Raum erklären.

Das Projekt hat sich über die Jahre immer weiter entwickelt und ohne die Unterstützung der vielen beteiligten KünstlerInnen wäre es nicht möglich gewesen, so weit zu kommen. Daher ein großes Dankeschön für die kreative Gestaltung und Umsetzung auf den Litfaßsäulen!

Michael Wismar